Kurzgeschichten
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Gabriele Wohmann: Ein netter Kerl (1978)
Ich habe ja so wahnsinnig gelacht, rief Nanni in einer Atempause. Genau wie Du ihn
beschrieben hast, entsetzlich.
Furchtbar fett für sein Alter, sagte die Mutter. Er sollte vielleicht Diät
essen. Übrigens, Rita, weißt du, ob er ganz gesund ist?
Rita setzte sich gerade und hielt sich mit den Händen am Sitz fest. Sie
sagte: Ach, ich glaub schon, daß er gesund ist. Genau wie du es erzählt
hast, weich wie ein Molch, wie Schlamm, rief Nanni. Und auch die Hand so weich.
Aber er hat dann doch auch wieder was Liebes, sagte Milene, doch, Rita, ich
finde er hat was Liebes, wirklich.
Na ja, sagte die Mutter, beschämt fing auch sie wieder an zu lachen; recht
lieb, aber doch gräßlich komisch. Du hast nicht zuviel versprochen,
Rita, wahrhaftig nicht. Jetzt lachte sie laut heraus. Auch hinten im Nacken
hat er schon Wammen, wie ein alter Mann, rief Nanni. Er ist ja so fett, so weich,
so weich! Sie schnaubte aus der kurzen Nase, ihr kleines Gesicht sah verquollen
aus vom Lachen.
Rita hielt sich am Sitz fest. Sie drückte die Fingerkuppen fest ans Holz.
Er hat sowas Insichruhendes, sagte Milene. Ich find ihn so ganz nett, Rita,
wirklich, komischerweise.
Nanni stieß einen winzigen Schrei aus und warf die Hände auf den
Tisch; die Messer und Gabeln auf den Tellern klirrten.
Ich auch, wirklich, ich find ihn auch nett, rief sie. Könnt ihn immer ansehn
und mich ekeln.
Der Vater kam zurück, schloß die Eßzimmertür, brachte
kühle nasse Luft mit herein. Er war ja so ängstlich, daß er
seine letzte Bahn noch kriegt, sagte er. So was von ängstlich.
Er lebt mit seiner Mutter zusammen, sagte Rita.
Sie platzten alle heraus, jetzt auch Milene. Das Holz unter Ritas Fingerkuppen
wurde klebrig. Sie sagte seine Mutter ist nicht ganz gesund, so viel ich weiß.
Das Lachen schwoll an, türmte sich vor ihr auf, wartete und stürzte
sich dann herab, es spülte über sie weg und verbarg sie: lang genug
für einen kleinen schwachen Frieden. Als erste brachte die Mutter es fertig,
sich wieder zu fassen.
Nun aber Schluß, sagte sie, ihre Stimme zitterte, sie wischte mit einem
Taschentuchklümpchen über die Augen und die Lippen. Wir können
ja endlich mal von was anderem reden..
Ach, sagte Nanni, sie seufzte und rieb sich den kleinen Bauch, ach ich bin erledigt,
du liebe Zeit. Wann kommt die große fette Qualle denn wieder, sag, Rita,
wann denn? Sie warteten alle ab.
Er kommt von jetzt an oft, sagte Rita. Sie hielt den Kopf aufrecht.
Ich habe mich verlobt mit ihm.
Am Tisch bewegte sich keiner. Rita lachte versuchsweise und dann konnte sie
es mit großer Anstrengung lauter als die anderen, und sie rief: Stellt
euch das doch bloß mal vor: mit ihm verlobt! Ist das nicht zum Lachen!
Sie saßen gesittet und ernst und bewegten vorsichtig Messer und Gabeln.
He, Nanni, bist Du mir denn nicht dankbar, mit der Qualle hab ich mich verlobt,
stell dir das doch mal vor!
Er ist ja ein netter Kerl, sagte der Vater. Also höflich ist er, das muß
man ihm lassen.
Ich könnte mir denken, sagte die Mutter ernst, daß er menschlich
angenehm ist, ich meine, als Hausgenosse oder so, als Familienmitglied.
Er hat keinen üblen Eindruck auf mich gemacht, sagte der Vater.
Rita sah sie alle behutsam dasitzen, sie sah gezämte Lippen. Die roten
Flecken in den Gesichtern blieben noch eine Weile. Sie senkten die Köpfe
und aßen den Nachtisch.
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Ronny Söhnel: Ein netter Kerl (1995) basiert auf Gabriele Wohmann: Ein netter Kerl
Untertitel: "Aneinanderreihung nicht zueinanderpassender Ereingisse, die keinen Sinn erkennen lassen!"
[Rechtschreibfehler inklusive und beabsichtigt!]
Ich lachte, als wäre ich wahnsinnig, rief Nanni in einer Werbeunterbrechung.
Genau wie du ihm geschrieben hast, auf deutsch nämlich. Furchterregent
nett, wie sein Alter, sagte die Mutter. Er sollte sich viel leichter ernähren,
mit SLIM FAST beispielsweise. Übrigens, Rita, meinst du, daß er ganz gesund
ist? Rita saß gerade, da sie am Stuhl gefesselt war und hielt mit ihren
Händen die Gurgel ihrer Mutter fest. Sie sagte: Ach, ich denke schon,
daß er ein Rad ab hat. Genau wie du es erzählt hast, weich wie ein AIRBAG,
wie Matsch, rief Nanni. Und auch seine Birne, soooooo weich. Aber er bekommt
ja auch immer Hiebe, sagte Miléne, doch, Rita ich finde er verdient Hiebe,
wirklich. Blah blah, sagte die Mutter und feigste gräßlich und haute sich
selber in die Fresse. [Ich finde das komisch.] Du hast dich wohl verkrochen,
Rita? Mutter nahm noch einen Zug aus ihrer Hasch-Pfeife und lachte dann
noch lauter. Auch hinten im Rucksack hat er Alkohol, wie ein alter Penner,
rief Nanni. Er ist ja so ölig, wie ein Scheich, wie ein Scheich. Sie zog
ihr Klein(es)hirn durch die Nase, ihr eigentlich schmales Gesicht sah
verquollen aus vom letzten Boxkampf. Rita hielt sich immer noch am Tisch
fest. Sie quetschte die Holzwürmer aus den Balken. Er hat so was Reinschlagendes,
sagte Milene. Ich habe ihn gefunden, Rita. Die Suche war ganz nett und
komisch. Nanni stieß einen ohrenbetäubenden Schrei aus, warf ihre Hände
auf den Tisch, ging noch ein paar Schritte und fiel dann um, Messer und
Gabeln steckten in ihren lebenswichtigsten Organen. Ein Teller fiel vom
Tisch, was ein klirrendes Geräusch zur Folge hatte. Ihre letzten Stammeleien waren: Ich auch, ich habe ihn auch gefunden und getrunken, den Methyl-Alkohol.
Könnt‘ mich immer ansehn und ihn ekeln. Der Vater kam zurück, schloß die
Eßzimmertür ab und ließ einen fahrn. Dies brachte warme Luft ins Zimmer.
Er war ja so ängstlich, als ich ihn vor die letzte Bahn geworfen habe.
So was wimmerndes. Erlebt habe ich das auch schonmal, sagte er zur Mutter.
Einige der in der Handlung mitspielenden Personen platzten jetzt, und
es entstand eine riesige Sauerei in der Wohnung. Das Holz unter Ritas
Fingerkuppen wurde langsam flüssig. Sie sagte: Ihr seid doch alle nicht
ganz gesund, so viel weiß ich. Ihr Rachen schwoll an. Dann stürzte ein
Flugzeug ab. Sie war im Dunst eingeschlossen. Als erste konnte sie ihre
Mutter wieder fassen. Noch ein Schuß...ahhhh... nun war sie wieder glücklich
und zufrieden. Sie sprühte sich Tränengas in die Augen. Ach, sagte Nanni,
sie schmatzte, öffnete das Fenster und sprang raus, ach ich bin erledigt...
Wie spät ist es eigentlich? Haben wir schon den neuen Quelle-Katalog?
Argll... (Ruhe)
Er kommt von jetzt an oft, ich habe ihn aboniert. Ich bin jetzt Kunde
dort. Am Tisch bewegte sich keiner mehr. Die Suppe schien alle dahingerafft
zu haben. Rita lachte wie eine Wahnsinnige. Stellt euch das blos mal vor,
ich bin jetzt Kunde bei Quelle, ist das nicht zum Heulen. Hey, seid ihr
mir denn nicht dankbar? Is' ja doll, röchelte der Vater. Also flüchtig
ist er, man muß ihn fassen! Die Mutter meinte: er ist sicher ein guter
Genosse und auch Mitglied der Partei. Ihr seht alle etwas übel aus, sagte
der Vater. Sie saßen am Tisch, senkten alle der Reihe nach die Köpfe.
Die Farbe in ihren Gesichtern verschwand. Rita aß den Nachtisch.
Ende
Lieber Leser, falls Dich diese Kurzgeschichte auch nur ein wenig zum Nachdenken
gebracht hat, habe ich meine Aufgabe erfüllt...Schönen Tag noch!
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Ronny Söhnel: Die Geschichte vom Löwen und der Jungfrau (2001)
Es begab sich zu einer Zeit, als die Tiere noch über die Erde herrschten
und die Hominiden emporwuchsen, um sich das Paradies eigen zu machen.
Es ist eine Zeit in der Bäume noch höher waren als es Häuser
jemals sein können, das reine Wasser aus dem Quellbächlein plätscherte
und der blaue Mond die Nacht im Dschungel erhellte. Dort streunte damals
ein Löwe umher, allein - geborgen im Schatten der Bäume. Er
trank aus der Quelle, er jagte die Menschenartigen und wanderte Nacht
für Nacht unterm Sternenhimmel. Als letzter seiner Art, einsam im
Dschungel sein Leben fristend, zog er umher und keiner verstand sein Leid,
seine Einsamkeit. Am Tage verschlafen, versteckt im Gebüsch lag er
da und hatte diesen Traum von dem Bächlein im Dschungel und dem verschleierten
Wesen, dass er nicht kannte. Er schlich sich heran, ganz vorsichtig durch
Sträucher und Geäst und dann... vorbei war der Traum, die Vision
von dem Trugbild, die ihn verfolgte. Sein Weg fürhte ihn in düstere
Nebelschwaden durch steinige Täler und über Zypressenhügel,
immer wieder getrieben von der Sehnsucht, dieses Wesen zu finden. Bis
er eines Nachts an einen Fluß gelangte, einen gewaltigen, reißenden
Strom, den er nicht in der Lage war zu überqueren. Er kannte kein
zurück, nur die Ruhe der Tage und den Schutz der Dunkelheit, und
so lief er von Dämmerung bis Morgengrauen den Fluß empor, auf
der Suche nach einer Stelle, ihn zu überqueren. Viele Nächte
zogen ins Land, der Fluß wurde schmaler, die Strömung lies
nach. Er hätte wagen können ihn zu queren, doch am anderen Ufer
erwarteten den Löwen nur karge, steinige Wüstenfelder, ohne
Nahrung, ohne Leben. So zog er weiter hinauf in die Berge, noch zwei volle
Monde. Der Wald wurde dichter und vertrauter zugleich. Der Löwe spürte
auf der richtigen Spur zu sein, getrieben von den Visionen seiner Traumwelten,
die ihn Tag für Tag ereilten. Einmal sah er die Quelle des Flusses
im Morgengrauen. Der glutrote Horizont färbte das Wasser, in dem
ein Wesen sich verbarg, nackt nur umgeben von Nebelschleiern. Der Tag
brach heran. Der Löwe verfiel in seinen Schlaf wie in Trance, die
ganze Nacht umhergeirrt, schläfrig von all den Mühen der Nacht,
dem Traum ergeben, der Vision erlegen. Er sah sich in diesem Walde, nah
der Quelle, verborgen in dichtem Geäst. Graue Schleier scheinen über
dem Wasser zu schweben, die Glut des Morgens zu reflektieren. Dieses Wesen,
wo ist es, beginnt er zu fragen, nur Leere und Stille, kein Atem, keine
Seele... Erwacht ein letztes Mal in tiefschwarzer Stille, steht er nun
da, von seinen Träumen betrogen - ohne Heimat, kein Ziel nur Zweifel.
Er legt sich nieder am Ufer der Quelle und schließt die Augen, atmet
tief und sieht die Nebelschwaden heranziehen. Sie scheinen etwas zu verbergen,
ein Geheimnis, eine Sehnsucht doch der Löwe bleibt still, ohne Regung
liegen. Sie tritt heran an die Quelle des Lebens. Ein Traum? Nein, ein
Wesen, wie er es nie zuvor sah. So schön, so rein, so voller Leben.
Der Löwe blickte empor der Jungfrau entgegen, vom Ufer hinein ins
ergraute Nass. Es war keine Traum, er ist am Leben und seine Sehnsucht
zum greifen nah. Lautlos versucht er ihr näher zu kommen - ein Ast
bricht - sie schauen einander tief in die Augen - sie sagt: seid gegrüßt,
mein Löwe; ich erwarte euch seit Jahr und Tag. Wer seid ihr, fragt
der Löwe. Das Leben, die Unschuld, der Traum, mein Schicksal? Ja,
entsprungen aus Lethes, dem Fluß des Vergessens, euch zu Verführen,
in mein Reich zu geleiten. Eingehüllt im Schleier der Ewigkeit entschwanden
beide am Horizont eines Ozeans.
[25./26.10.2001]
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Kim Meiser: Die Abenteuer der kleinen Schnecke im Urwald
Diese Bildergeschichte widme ich allen verliebten, verkrachten, verlobten und versauten
Beziehungen (vor allem Urwaldbeziehungen) auf dieser schlechten Welt.
Es war einmal ...
... vor gar nicht allzu langer Zeit. Da lebte ein kleiner Tiger mit dem Namen kleiner Tiger. Er war sehr einsam. Das lag vor allem an seinem Mundgeruch. Niemand wollte sich in seiner Nähe aufhalten.
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Doch eines Tages begegnete dem kleinen Tiger die kleine Schnecke. An der Matrosenmütze und dem blauen Panzer erkennt man, dass die kleine Schnecke Seeman war. Sie hatte keine Nase, und darum war ihr der Mundgeruch des kleinen Tigers egal. Die beiden verstanden sich so gut, dass sie sich immer geknuddelt haben.
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Doch diese Idylle konnte nicht lange bestehen. Auf einer Linienfahrt (Buenos Aires - Singapur) geriet das Schiff der kleinen Schnecke in einen Sturm und sank. Die kleine Schnecke konnte sich auf eine einsame Insel retten und lebte fortan auf Urwaldbäumen.
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Nach kurzer Zeit erging es Ihr wie jedem Urwaldbaumbewohner: Sie wurde eins mit dem Baum.
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Im Urwaldbaumdschungel war die kleine Schnecke sehr einsam. Darum hatte Sie auch ein Verhältnis mit dem roten Nilpferd. Das rote Nilpferd war sehr klein, aber der Schnecke machte das nichts aus. Sie nannte das Nilpferd einfach "Freitag".
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Der kleine Tiger ist überzeugt, dass seine Schnecke mit dem Schiff untergegangen ist. Er ertränkt seinen Kummer mit Alkohol.
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Alkohol ist nicht genug: Der kleine Tiger brauchte mehr ... ... was er dann auch fand.
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Doch auch das sollte noch nicht gegen den tiefen Schmerz helfen, den die kleine Schnecke in seinem Herz hinterlassen hat. Der kleine Tiger ging sogar schon anschaffen, um sich seine Drogen zu finanzieren.
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Einer von Tigers Freier (links im Bild). Besser bekannt als "Dildo Dino". Dino wurde von nun an Tigers Stammkunde.
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Nach einiger Zeit hat Dino sich in Tiger verliebt, und beide sprachen schon davon, bald auszuwandern. Das Ziel war noch nicht klar, aber beide wussten: Wahre Freundschaft gibt es nur unter Männern.
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Dino und Tiger lassens krachen. Wilde Orgien waren an der Tagesordnung.
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Da kommt die kleine Schnecke wurde von Ihrer Insel gerettet und kehrt nach Hause zurück. Sie erwischt Tiger mit Dino beim "..."!
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Tiger fiel sofort wieder ein, wieviel Spaß er mit der kleinen Schnecke hatte. Er sprach sich mit Ihr aus. Dann machte er Schluss mit Dino. Tiger und die kleine Schnecke sind wieder ein Paar.
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Dino war am Boden zerstört. Er konnte nichts mehr essen. Er konnte nicht mehr schlafen. Er konnte nichts mehr.
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Tiger und die kleine Schnecke feiern Ihr Wiedersehen.
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Dino ist noch zerstörter. Noch mehr am Boden. Total fertig.
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Er durchlitt eine Tiger-Tortur.
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Jetzt reichts Dino: Tiger und die kleine Schnecke werden des Nachts überrascht.
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Die kleine Schnecke ist getroffen: Dino kennt keine Gnade. Sie stirbt auf dem Weg ins Krankenhaus.
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Dino vollendet sein Werk. Tiger muss leiden; er wird lebendig gehäutet, bevor er in Stücke gehackt und als Weihnachtsfrüchtekuchen verschickt wird.
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Dino ist erst vor ein paar Tagen aus dem Gefängnis ausgebrochen. Er wurde bereits hier in der Gegend gesehen. Wenn Du Dildo Dino herumlaufen siehst, ruf sofort die Polizei. Gehe nicht über Los. Ziehe nicht 4000 Mark ein.
...vor Jahren gefunden auf http://www.kim-meiser.purespace.de
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